Wie Texter die digitale Welt retten

Texter sind die Helden der Digitalisierung. Sie ziehen den Karren aus dem Content-Sumpf.

Texter sind die Helden der Digitalisierung. Sie ziehen den Karren aus dem Content-Sumpf.

„Von dir sind also die Texte hinten auf der Toastbrotpackung.“

„Da musst du ganz schön kreativ sein, oder?

„Werbesprüche fand ich schon immer cool.“

Das darf ich mir seit der Jahrtausendwende anhören, wenn ich mich außerhalb der Branche als Werbetexterin oute. Die Dany+Sahne Witze zu meinem Namen sind verschwunden, zusammen mit der D-Mark und den Dinosaurierknochen von NOKIA.

Geblieben ist das schiefe Bild des sprücheklopfenden Werbetexters, der zwischen Freude am Fahren und Geiz ist geil Produktrückseiten beschriften darf.

Bevor ich mich weiter aufrege: Das ist mein Beitrag zur #digiform Blogparade von Zielbar, in dem ich erzähle, was die Digitalisierung für mich und meine Zunft verändert.

Ich schlage drei Thesen zum Werbetexten im digitalen Zeitalter an die Tür.

Aber erst darfst du die Geschichte lesen, die ich schon immer aufschreiben wollte. Oder du überspringst sie und verpasst meine fieseste Demütigung im Job. (Falls du dich fragst: DAS war ein Werbetext, wenn auch ein plumper).

Zur Einstimmung ein Zitat meines 8-jährigen Sohns.

„Das kann doch jeder! Schau mal so: Tipp, tipp, tipp.“

Andreas Quinkert hat einen flammenden Artikel über das ramponierte Berufsbild des Texters geschrieben. Alles wahr, traurig, amüsant zu lesen. Nur:

Der Werbetexter hatte schon 2000 ein Imageproblem – zumindest in Deutschland.

Frisch von der Uni startete ich als Talkshowredakteurin (das fühlt sich so an als würde ich eine Vergangenheit als Crack-Dealer beichten) und war nach dem ersten „Ich bin beim Fernsehen!“-Hype unglücklich damit. Dann überzeugte mich mein Kumpel Ilja Schmuschkowitsch, der noch heute als Top-Kreativer durch die Agenturszene tourt, Werbetexterin zu werden. Von seinem Pitch ist bei mir ein Satz hängen geblieben:

„Der Texter sagt, wie’s läuft.“

Und tatsächlich wurde mir als Texterin in Agenturen schnell der rote Teppich ausgerollt – obwohl ich keine nennenswerten Preise gewonnen hatte und erst recht kein überkreativer Mastermind war. Aber: Ich hatte das Handwerk gelernt, Kampagnen zu konzipieren und durchzutexten (und bald eine Mappe mit bekannten Markennamen drin). Das Buzzword hieß noch „ganzheitliche Kommunikation.“

Doch all die Wertschätzung fand im Mikro-Universum der Werbeagentur statt. Außerhalb wusste niemand von unserer Awesomeness. Nicht mal die Kunden.

Mein Präsentations-Armageddon.

Nach 1050 verworfenen Ideen und zig durchzechten Spätschichten in der Agentur (kein Scherz: Im Büro gab es ab 18 Uhr Frei-Beck‘s) steht endlich die Kampagne für einen großen deutschen Autobauer. Die Idee lebt von humorigen Headlines wie „Der neue Siebener von Volkswagen“, die zu 91 Prozent auf meinem Mist gewachsen sind.  

Mein Art-Teampartner hat ein ästhetisches Layout dazu entworfen, das so hammergeil aussieht wie alles, was er am Mac designt. Aber bei aller Ehre nicht darüber entscheidet, ob die Kampagne umgesetzt oder abgeschossen wird.

In der Präsentation stellt uns der Agenturchef als Art Director und Texterin vor. Danach kommt ein apfelbäckiger Kunde zu uns rüber, klopft meinem Kollegen auf die Schulter und sagt: „Ihre Idee hat mich überzeugt. Das wird eine ganz starke Kampagne.“

Dann lacht er mich gönnerhaft an: „Und ich freu mich schon auf Ihre Broschürentexte.“

Der Kunde kommt nicht mal auf die Idee, dass ich als Texterin etwas mit dem Konzept zu tun haben könnte. Ich mache die Fließtextarbeit im Akkord. Ich verstehe sogar, warum der gute Mann so denkt: Art Director und Texter klingt nicht nach einem gleichberechtigten Team. Eher nach Meister und Handlanger. Nach Oberkreativem und Textchentipper.

Warum heißt es nicht Text Director?

In Amerika reicht Copywriter vollkommen – obwohl das noch unscheinbarer klingt als unser Werbetexter. Die großen Texter des 20. Jahrhunderts haben dort Jesus-Status. Weil sie Marken zu Weltruhm, Horden von treuen Fans und schwindelerregenden Umsätzen verholfen haben.

Nur im Land der Dichter und Denker sind Texte nichts wert.

Dann knospt das Online-Zeitalter. Und alles wird schlimmer.

In den 2000ern schießen überall Unternehmenswebseiten aus dem Boden. Nach dem idiotischen Motto „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ lässt man sich todschicke Designs anfertigen. Die sterben in moderner Eleganz und sind gehirnsparend: Unternehmen müssen sich keine stressigen Gedanken darüber machen, was sie dem Kunden sagen wollen. Die Streber kopieren ihre Broschürentexte rein.

Meine Textaufträge klingen oft so: Wir brauchen noch ein paar nette Texte für unsere neue Internetseite. Dann stellt sich heraus, dass ich die Unternehmensphilosophie, die Positionierung, USPs und die Tonalität entwickeln soll. Ein paar nette Texte für die Internetseite? Geht’s noch? Versteh mich nicht falsch: Es ist in Ordnung, Texter fürs Denken zu bezahlen. Aber der Auftraggeber sollte sich dessen bewusst sein und die Konzeption nicht zu „netten Texten“ herabwürdigen.

Aber das ist noch nicht das Ende.

SEO kommt im Marketing an und die Textqualität fällt ins Bodenlose.

Bald huldigen alle dem Google-Gott, der damals noch leichter zu überlisten war. Ich soll elendslange Texte mit einer Tonne Keywords mästen – in der Hoffnung, dass die Maschine sie wieder ausspuckt. Es wird viel darüber diskutiert, wie man SEO-Texte lesefreundlicher gestalten kann.

Kann man. Macht aber lange keiner, weil dann die Keyword-Density nicht mehr stimmt.

Meine schmissigen Headlines haben online nichts verloren. In die H1 muss noch „Kaffeevollautomat günstig kaufen“ oder „ERP-Lösung für Unternehmen“ rein.

Zum Glück sind wir darüber fast weg. Ja, die Digitalisierung hat holprig begonnen. Aber JETZT ist die Stunde des Textens da. Für Unicorn-Content und konvertierende Sales-Funnels sind brillante Texte unverzichtbar.

Ich habe drei optimistische Thesen zum Texten im digitalen Zeitalter

These #1: Texter werden Helden sein.

Content-Marketing ist das goldene Kalb, weil es zum Mindset der selbstgesteuerten Kunden von heute passt. Aber es reicht nicht mehr, hilfreiche Informationen in Whitepapers, Blogs, E-Books und Erklärvideos ins Netz zu pumpen. Es gibt einfach zu viel davon.

Ruckzuck zusammengeschusterte Me-too-Dinger interessieren keinen mehr. 10 oberflächliche Tipps für gute Texte, die ich 500 Mal gelesen habe – und nicht mal ein Beispiel zeigen. Das ist spannend wie der Busfahrplan. Und so 2014. 😉

Die große Frage ist dieselbe, die sich die klassische Werbung schon immer gestellt hat: Wie können wir uns abheben? Mit tieferen Inhalten? Mit nie dagewesenen Ideen? Fraglich. Ich glaube, die Antwort ist einfacher und alles andere als neu:

Wir müssen unsere Botschaften und Informationen faszinierend rüberbringen. Content braucht den gleichen Effekt wie eine Herde Glitzer-Einhörner auf dem Kindergarten-Spielplatz.

Guter Content ist gut geschrieben:

  • Mit Markencharakter und Menschengespür

  • Mit Witz, Offenheit und Kanten

  • Mit Geschichten, die uns in den Bann ziehen

  • Mit Wissen, das zu unterhalten weiß

  • Mit einer Stimme, die kein Echo ist

Es gehört sogar noch mehr dazu als eine unterhaltsame Schreibe, um Content zum Leuchten bringen: eine stimmige Konzeption, eine übergeordnete Idee und viele bunte Formate von Livestream bis Podcast und Infografik.

Kriegt das der Praktikant, die GF-Assistenz oder der Projektmanager alleine hin? Ohne Weiterbildung oder externe Unterstützung?

Wie gut, dass es Texter gibt. Die haben das schon gemacht als es noch Werbung, Reklame und integrierte Kommunikation hieß. Ach ja: Verkaufen können sie auch. Denn am Ende muss jemand die Landingpage und die E-Mail-Sequenz schreiben.

Ich sag’s euch: Texter werden gefragter als Batman. Unternehmen brauchen Helden, die sie aus dem Content-Sumpf ziehen. Und die können sogar aus den eigenen Reihen kommen (siehe These 3).

These #2: Redakteure und Werbetexter finden zueinander.

Es gibt eine Sache, die ich als Werbetexterin mit gerümpfter Nase beäugt und mit spitzen Fingern angefasst habe: Pressemitteilungen. Ich mochte weder die neutral genormte Stimme noch den starren Rahmen. Im Gegenzug belächelten die PR-Kollegen meine verspielt-dramatischen Werbetexte mit Konfetti obendrauf.

Und jetzt schreiben viele von uns genau das gleiche: Content. Ich sehe ihn als Synthese aus Werbung, Journalismus und Wissensvermittlung.

In Unternehmen entwerfen heute oft dieselben Leute journalistische Blogbeiträge, die auch die Verkaufsseite betexten. Weil alles Teil der Online-Marketing-Strategie ist.

Als Texterin muss ich auf einmal Werbetext UND Journalismus können. Die beiden Disziplinen erfordern ein ganz anderes Mindset. Als Journalist berichte ich, als Werbetexter überzeuge ich.

Deshalb muss ich etwas dazulernen. 

Von Journalisten lerne ich, wie man ordentlich recherchiert und zitiert (da ist bei mir noch Luft nach oben). Wie man Meinungen gegenüberstellt und für mündige Leser schreibt. Dieses Wissen macht mich zur besseren Bloggerin.

Von mir können sich die PR-Kollegen abschauen, wie man schreibt, um zu überzeugen – und dabei schamlos entertaint.

Digitalisierung heißt für alle, die im Online-Marketing schreiben: Raus aus dem eigenen Saft, Horizont erweitern, neue Disziplinen lernen.

These #3: Markenbotschafter lernen texten.

„Der Kunde will das selber texten“.

Dieser Satz war lange für mich der pure Zombieschleim-Horror. Nicht, weil ich mich in meiner Berufsehre gekränkt fühlte (das tat ich), sondern weil sich die Kunden damit immer wieder ins Knie schossen – und am Ende unzufrieden waren, weil ihre Maßnahme nicht den gewünschten Erfolg einfuhr.

Heute sehe ich das anders: Marken brauchen einen Haufen Content. Und authentischer Content kommt nun mal aus dem Unternehmen und nicht von externen Agenturen. Und seien wir ehrlich: Welches KMU kann es sich leisten, alles auszulagern – vom Facebook-Post bis zum Blog und E-Mail-Marketing?

Der Weg ist klar: Markenbotschafter werden neben den Profis für Unternehmen Content machen. Mitarbeiter, die Kühler konstruieren, Konferenzen organisieren oder Marketingpläne austüfteln. Leute, deren Hauptaufgabe im Job NICHT das Schreiben ist. Die ihren eigenen Stil reinbringen, damit das Unternehmen nach außen mehr als Fassade zeigt: Wir wollen die Menschen dahinter sehen, die ein gemeinsames Ziel verbindet.

Vor 10 Jahren wurde die „Unsere Mitarbeiter“-Seite auf der Firmenwebseite wie blöd geklickt. In Zukunft sind diese Köpfe viel aktiver dabei, ihr Unternehmen online zu vertreten. Sie sprechen für sich – und für die Marke. Ivana Baric-Gaspar gibt auf Zielbar eine aufschlussreiche Einführung ins Thema Markenbotschafter

Ja, aber kann jeder Hinz und Kunz Texter sein?

Texten kann jeder intelligente Mensch. Er muss es nur lernen. Zumindest, wenn die Texte etwas bewirken sollen. 

Springer & Jacobi hatte lange im Anforderungsprofil für Texter etwas in der Art stehen: „Du musst nicht Germanistik studiert haben. Du kannst früher mal Primaballerina oder Obstverkäufer gewesen sein.“

Das konnten die schreiben, weil das zarte Texttalent im Job ausgebildet wurde.

Texter fallen nicht vom Himmel. Du meistert das Texten wie du ein Musikinstrument spielen lernst. Am besten mit einem Lehrer, Übung und qualifiziertem Feedback. So wie ich es von meinem Seniortexter gelernt habe.

Diese Fähigkeiten können Unternehmen ihren Markenbotschaftern, Marketern und internen Textern schenken. Dafür gibt es (Achtung, gekennzeichnete Werbung) Texterfortbildungen.

Fazit: Wer texten kann, hat das Ticket aus der Content-Müllhalde, das zu mehr Kunden, Markenvertrauen und Sichtbarkeit führt. Fähige Texter sind die Rettung für Unternehmen im digitalen Zeitalter. Sie verdienen Wertschätzung und eine verdammt gute Bezahlung. 


Daniela Rorig, M.A., Business-Textercoach & Vollblut-Werbetexterin

Daniela Rorig, M.A., Business-Textercoach & Vollblut-Werbetexterin

Die Autorin Daniela Rorig

Kämpft für Textkompetenz im Online-Marketing. Rebelliert gegen Blabla, Stilsünden und schimmlige Regeln. Befähigt Texter und Content-Macher, magische Webtexte, Blogs und E-Mails zu schreiben.

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